Blick auf die Geschichte Westpreußens

Das Gebiet der „Freien Stadt Danzig“ östlich des Polnischen Korridors Foto: Ziegelbrenner/Wikipedia

Seit 1000 Jahren sind Polen und Deutsche Nachbarn, leben mal miteinander, mal gegeneinander, viel zu oft auch einfach nur nebeneinander. Vor 100 Jahren, am Ende des Ersten Weltkriegs, gab es Auseinandersetzungen darüber, wie Europa zukünftig aussehen sollte. Zu den Streitfragen bei den Verhandlungen in Versailles gehörten die Grenzen der Zweiten Polnischen Republik, ihr Zugang zum Meer und die Frage der Stadt Danzig. Einen wichtigen Teil der Lösung dieser Konflikte gab es dann vor 30 Jahren.
Vor genau hundert Jahren, am 15. November 1920, konstituierte sich nach monatelangen Diskussionen sowie Protesten eines großen Teils der Danziger Bevölkerung die Freie Stadt Danzig. Sie umfasste die Städte Danzig, Zoppot, Praust, Tiegenhof und Neuteich sowie das sie verbindende Gebiet. Sie wurde auf Grundlage des Versailler Vertrags ohne eine Volksabstimmung wie in anderen Gebieten wie Ostpreußen vom Deutschen Reich abgetrennt und erhielt den Status eines teilsouveränen selbstständigen Freistaats Danzig. Dieser neue Staat gab sich eine eigene Verfassung, die Verfassungsgebende Versammlung plädierte im Sommer 1920 für eine Neutralität Danzigs. Glücklich waren mit der damaligen Lösung weder die Deutschen noch die Polen, und schon gar nicht die Danziger. Denn unter anderem lag die Führung der außenpolitischen Angelegenheiten der Freien Stadt Danzig zwar in den Händen Polens, doch die Danziger Bürger benötigten zur Einreise nach Polen ein Visum.
Die Beziehungen der beiden Länder waren im Danzig-polnischen Vertrag geregelt, der am 9. November 1920, vor der Proklamation der Freien Stadt Danzig, in Paris unterzeichnet wurde. Eine wichtige Rolle bei der Existenz der Freien Stadt Danzig spielte der Völkerbund in Genf, der als zwischenstaatliche Organisation das Mandat für und damit die Aufsicht über den neuen Staat hatte. Er garantierte den Schutz für Danzig und seine Verfassung, und hatte aus diesem Grund als Vertreter einen Hohen Kommissar in Danzig stationiert, der Streitfragen zwischen Polen und Danzig entscheiden sollte. Dieser Vertreter vollzog die Proklamation am 15. November 1920 nicht nur in Danzig, sondern auch vor dem Völkerbund in Genf. Dieser war offiziell am 10. Januar 1920 auf Basis des Versailler Vertrags gegründet worden und an jenem Tag – also ebenfalls vor genau 100 Jahren – zum ersten Mal zusammengetreten. Eine wesentliche Aufgabe des Völker-bunds war die Regelung von Streitigkeiten zwischen Staaten auf friedliche Weise. Erfolgreich war er dabei nicht, wie die Geschichte des 20. Jahrhunderts und auch die deutsch-polnische Geschichte zeigt.
Die endgültige Regelung der Grenzfrage zwischen Polen und Deutschland zum Beispiel benötigte weitere Jahrzehnte, zu-mal die Grenze sich am Ende des Zweiten Weltkriegs nach Westen verschoben hatte, ohne dass die Betroffenen etwas mitzubestimmen hatten. Letztendlich wurde aber vor 30 Jahren, am 14. November 1990, in Warschau von den Außenministern bei-der Staaten Hans-Dietrich Genscher und Krzysztof Skubiszewski der deutsch-polnische Grenzvertrag unterzeichnet, der die heutige Grenze völkerrechtlich festlegte. Uwe Hahnkamp

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